Xx, §. 8. Verdunkelung des Glanzes unter den letzten Ottonen. 379
geistreiche und ehrgeizige Wittwe. Beide Frauen führten durch Hülfe
des trefflichen Willigis, Erzbischof von Mainz, das Reichsregiment
mit einer Umsicht und Festigkeit, daß es nur einiger großer Thaten
des jungen Königs bedurft hätte, um schnell den Kaiserthron wieder
mit seinem frühern Glanze zu umgeben. Aber diese Thaten blie-
den aus. Allzu früh war der wohlunterrichtete königliche Knabe, „das
Wunder der Welt", in die selbständige Verwaltung seines Reiches
eingetreten, allzu unklare und jugendlich überspannte Phantasieen zogen
noch durch seine Seele; er setzte sich Ziele, die er nimmermehr errei-
chen konnte, nicht mehr wollte er Sachse, nicht mehr Deutscher sein;
Grieche von Geburt, Römer durch seine Würde, wollte er Rom wieder
zur Hauptstadt der Welt, sich selbst zum altrömischen Imperator ma-
chen. Mittlerweile aber, während er seine geringe Lebenskraft in
überschwenglichen und unausführbaren Versuchen und Plänen ver-
zehrte, wankte ihm schon der Boden unter den Füßen. Vcrrath und Ab-
fall zeigte sich an allen Orten. Die Dänen hatten die deutsche Herrschaft
abgeworfen, die Wenden das alte Heidenthum wiederhergestellt, Polen,
Böhmen und Ungarn sich der deutschen Oberherrlichkeit — zum Theil
mit Wissen und Willen des „römischen" Kaisers — entzogen. In
Frankreich hatte das neue Königsgeschlecht des Hugo Cap et (seit
987) die letzten Karolinger völlig beseitigt und arbeitete mit Erfolg
daran, das weftfränkische Reich von dem deutschen Einfluß gänzlich zu
befreien. Italien war von der Südspitze bis zu den Alpen in vollem
Aufruhr und kaum konnte die Leiche des kaiserlichen Jünglingö (1002)
den wiederholten Anfällen italischer Kriegsfürsien durch seine Getreuen
entzogen und über die Gebirge in die Gruft seiner Ahnen hinüberge-
rettet werden. Das stolze Gebäude des großen Otto schien mit dem
Tode und durch die Schuld seines Enkels zusammenzubrechen.
Aber wenn auch die äußere Machtfülle des Kaiserthums von den
beiden Jünglingen nicht in ihrem ganzen Umfange gewahrt werden
konnte, so haben sie doch anregend und befruchtend auf die innere Ent-
wicklung des deutschen Geistes und der Kirche eingewirkt. Schon die
Verbindung mit Italien, welche der große Otto eröffnet hatte, die
fortwährenden Römerzüge, an welchen fast alle deutschen Fürsten und
unzähliges Volk sich belheiligten, mußten die Resie der altrömischen
Bildung, die sich noch in Italien erhalten hatten, weithin über die deut-
schen Länder'verbreiten. Dazu kam noch die neuangeknüpfte Verbin-
dung mit dem griechischen Hofe und die Regentschaft dertheophano
und die gelehrte Erziehung, welche der junge Otto empfing. Da
sammelten sich von allen Seiten her gelehrte Männer an dem Hofe des
jungen Kaisers, da fing man wieder an zu studiren, zu schriftstellern,
zu dichten, zu philosophiren. Es wurden wieder künstlerische Versuche
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr]]
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TM Hauptwörter (200): [T132: [König Karl Italien Otto Kaiser Papst Reich Sohn Rom Jahr], T19: [Reich deutsch Kaiser Reiche Zeit Karl Jahr Ende Konstantin groß], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T72: [Kloster Kirche Jahr Bischof Kaiser Karl Otto Dom Grab Leiche]]
Extrahierte Personennamen: Vcrrath Otto Otto Otto
Extrahierte Ortsnamen: Mainz Rom Polen Ungarn Frankreich Hugo_Cap Italien Italien Italien
Xxi. §. 5. Kreuzzug Wider die Wenden.
399
heit in den kirchlichen Lehren zu erlangen. Im Mittelalter nannte
man solche dialektische Theologen Scholastiker und ihre Ausgabe
war: jede kirchliche Lehre mit der größtmöglichen Schärfe und Gründ-
lichkeit festzustellen, gegen alle Einwendungen zu vertheidigen und mit haar-
spaltender Genauigkeit ihre Anwendung nach jeder Seite hin aufzuweisen.
Als Führer der langen, langen Reihe von Scholastikern des Mittelalters
stand dem Bernhard der berühmte Abälard gegenüber. Aber Abä-
lard war nicht so fromm als er gelehrt war, Deshalb hat er schwere
Demüthigungen erdulden müssen, und Bernhard wurde es nicht schwer,
ihn zu überwinden. Aber seine Schüler waren unendlich zahlreicher als die
Bernhard' s. Denn durch den genauen Verkehr Deutschlands mit dem
noch von alter Zeit her gebildeten Italien, mit den scharfsinnigen und ver-
schmitzten Griechen, mit den phantastischen und überschwänglichen Völ-
kern des Morgenlandes, Christen und Saracenen, war in fortgehender
Steigerung ein so gewaltiger Drang und Trieb nach eigner Weiterbil-
dung unter die Deutschen und ihre nächsten Nachbarn gekommen, daß
mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts wie aus einer geöffneten
Thür uns eine unabsehbare Schaar von Gelehrten und Schriftstellern,
von Dichtern und Sängern, von Künstlern und ausgezeichneten Män-
nern aller Art entgegentritt. Es ist die Vlüthezeit des Mittelalters, in
die wir eingetreten sind — die höchste Mannigfaltigkeit der Gaben,
Kräfte, Talente, Aemter, Würden, Trachten, Sitten unter der Alles
überschattenden Einheit der von Gott hoch erhobenen römischen Kircke
und des päpstlichen Scepters.
§. 5. Kreuzzug wider die Wenden.
Zu gleicher Zeit mit dem zweiten Kreuzzug wider die Sarace-
nen, der so unglücklich auslief, wurde noch ein anderer Kreuzzug un-
ternommen, der das weite Reich des Papstes wieder um ein bedeuten-
des Stück vergrößerte. Es ist schon früher erwähnt (S. 376), daß die
schönen Eroberungen und Stiftungen Heinrich' s I. und der Ottonen
zwischen Elbe und Oder unter den schwächeren Kaisern, besonders
unter Heinrich Iv. fast gänzlich wieder verfallen waren und daß
auch Polen und Böhmen immer nur in sehr zweifelhafter Abhängig-
keit vom deutschen Reiche standen. Polen war aber indeß, eben so
wie Böhmen, ein durchaus christliches Land geworden, hatte Bischöfe
und Erzbischöfe, Kirchen und Klöster und sorgte für Ausbreitung deö
Christenthums auch in denjenigen heidnischen Ländern, die es eroberte,
absonderlich in Pommern. Der Polenherzog Boleslav lud selbst
den deutschen Bischof Otto von Bamberg ein, mit ihm und unter-
feinem Schutz nach Pommern zu ziehen, um die reichen und lebens-
frohen Pommern zu bekehren. Wirklich gelang es dem Bamberger
Bischof und dem polnischen Herzog, die Kirche in Pommern wenig-
stens zu begründen. Dagegen die vom Kaiser und von den Sach-
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Extrahierte Personennamen: Bernhard Bernhard Heinrich_Iv Heinrich Polenherzog_Boleslav Otto_von_Bamberg Otto
Xxi. §. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I. rc. 401
Schwerlich würde dies Ziel im nordöstlichen Deutschland so bald
erreicht sein, wenn nicht eben damals in der Mark Brandenburg ein
Mann aufgetreten wäre, den wir mit Stolz und Freude als den Be-
gründer des später so ruhmreichen brandenburgisch-preußischen Staates
begrüßen. Markgraf Albrecht von Ballenstädt, gewöhnlich Albrecht
der Bär genannt, aus dem Hause der Askanier, war vom Kaiser
Lothar von Sachsen 1134 und dann noch förmlicher von Kaiser
Konrad Iii. 1142 mit der Markgrafschaft Brandenburg belehnt und
zwar so, daß er nicht mehr abhängig von Sachsen, sondern als selb-
ständiger Reichsfürst seine Markgrafschaft erblich besitzen solle mit allen
den Ehren und Rechten, welche sonst nur Herzögen zukommen. Er
ward Erzkämmerer des deutschen Reichs, so wie die übrigen Herzöge
Erzmarschall, Erzmundschenk, Erztruchseß u. s. w. waren. Er benutzte
den erwähnten wendischen Kreuzzug sogleich, um seine Herrschaft bis an
die Oder auszubreiten, und war entschlossen, das Heidenthum um jeden
Preis niederzukümpfen und das Christenrhum zur alleinigen Herrschaft
zu erbeben. Deshalb berief er sofort deutsche, besonders holländische
Colonisten in das entvölkerte und verödete Land, die den Boden fleißig
anbauten, Städte gründeten und zahlreiche Dörfer anlegten, lieberall
erhüben sich die schützenden Burgen mächtiger Ritter, gelehrte Mönche
und fromme Priester kamen schaarenweise herbei; die lange darnieder-
liegenden Bisthümer von Havelberg und Brandenburg wurden glänzender
als je wieder aufgerichtet und fester begründet. Auch die seit dem ersten
Kreuzzug im gelobten Lande gestifteten kriegerischen Mönchsorden der
Johanniter und Tempelherren bat ec um Ueberlassung einer
Anzahl von Brüdern und Rittern, die mit den Werken der Liebe und
mit der Kraft des Schwertes die Ueberreste des Heidenlhums völlig zu
Boden werfen sollten. Und wunderbar blühte das Land unter seiner
eignen und seiner askanischen Nachfolger kräftiger Leitung auf. Ueberall
wurden Wälder ausgerodet, Sümpfe ausgetrocknet, öde Haidestrecken
urbar gemacht, Wohlstand und rege Thütigkeit konnte man nach allen
Seiten hin mit Behagen wahrnehmen. Selbst die Wenden, die als
Besiegte das schwere Loos hatten, Leibeigene der deutschen Sieger zu
werden, wurden von der frischen und strebsamen Thätigkeit der deutschen
Ansiedler mit fortgerissen, entsagten dem trägen Brüten und sinnlichen
Nichtsthun und wetteiferten mit ihren Grundherren im Anbau des Bo-
dens und in der Erweiterung der Cultur. Die mildere Sinnesart, die
mit dem Christentyum in's Land gekommen war, verschaffte vielen
solcher wendischen Dienstleute die Freiheit und allmälig verschmolzen
sie mit ihren deutschen Ueberwindern zu einem kräftigen und lebens-
frischen Volksstamm, dem eine große Zukunft aufbehalten war.
§. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I.
und den König von England.
Hatten bisher die Päpste seit Gregor's Vii. Zeit einen Sieg
nach dem andern über die Kaiser und Könige erlangt und ihre theo-
kratische Oberherrschaft trotz alles Widerstandes immer durchführen
v. Nohden, Leitfaden. 26
TM Hauptwörter (50): [T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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TM Hauptwörter (200): [T18: [Mark Brandenburg Land Albrecht Friedrich Kaiser Jahr Markgraf Haus Markgrafe], T133: [Boden Land Ackerbau Klima Wald Viehzucht Teil Wiese Anbau Fruchtbarkeit], T171: [Heinrich Otto Herzog Kaiser König Friedrich Sohn Konrad Sachsen Schwaben], T187: [Religion Christus Christ Christentum Zeit Jahr Volk Christenthum Heide Geburt], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_I. Albrecht_von_Ballenstädt Albrecht Albrecht Lothar_von_Sachsen Konrad_Iii Konrad Friedrich_I. Friedrich_I.
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Brandenburg Sachsen Havelberg Brandenburg England
Xxii. §. 8. Die neue Staatskunst der luxemburgischen Kaiser. 440
§.8. Die neue Staatskunst der luremburgischen Kaiser.
Kehren wir aus diesem stillen Kreise auf das Gebiet des öffent-
lichen Lebens und der Völkergeschichte zurück, so begegnet uns da
freilich sogleich wieder der schneidende Luftzug der sich vorbereitenden
neuern Staatskunst, die aller höheren Interessen bar sich lediglich auf
den Eigennutz gründet und über den nächsten in die Augen fallenden
Vortheil der eignen Person und des eignen Landes keine weitere Ver-
pflichtung für die höheren und allgemeineren Angelegenheiten der Chri-
stenheit anerkennen will. Nicht umsonst hatte Kaiser Karl Iv. seine
Erziehung und erste Ausbildung in Frankreich und Italien empfangen.
Durch ihn kamen die französischen Regierungsgrundsätze zuerst nach
Deutschland. Er wie seine Söhne Wenzel und Si egmund, die nach
ihm die Kaiserkrone getragen haben, konnten die französische Charak-
terlosigkeit und Leichtfertigkeit nie verleugnen. Nur trat das welsche
Wesen in verschiedener Weise frei ihnen hervor; bei Karl mehr als
ränkesüchtige Geriebenheit, gewandte Ueberlistung seiner Gegner und
gewissenlose Ausbeutung fremder Treue und Gutmüthigkeit für den
eignen Vortheil. Bei Wenzel dagegen erscheint mehr die franzö-
sische Rohheit, Rücksichtslosigkeit, Grausamkeit, die schändliche
Tyrannei französischer Gewalthaber, und bei Sieg mund die seine
und galante Art des äußern Wesens und die gewinnenden und
bestechenden Manieren in der äußern Erscheinung, verbunden mit
leichtsinniger Flatterhaftigkeit, Oberflächlichkeit und einer mehr ver-
wirrenden als heilbringenden äußerlichen Geschäftigkeit. Von ihren
Verpflichtungen für das deutsche Reich und für die gesammte Chri-
stenheit hatten sie keinen Begriff oder wollten sich solcher Bürde,
wenn sie nicht zugleich Vortheil und Ehre brachte, nicht unterziehen.
Somit überließen sie das Reich sich selber und sorgten nur für ihre
Erbländer. So viel neue Noth und Verwirrung dieses abermalige
Zurücktreten der Kaisergewalt über Deutschland brachte, so muß man
doch sagen, es war für die Deutschen ein Glück und ein nicht ge-
nug zu preisender Rathschluß göttlichen Wohlgefallens, daß sie nicht
bloß von der päpstlichen Knechtschaft, sondern auch von der kaiserlichen
Vormundschaft gerade zu der Zeit befreit wurden, da sie alle Bildungs-
mittel und Hülfen zu einer freien und selbständigen Entwicklung in
reichem Maße empfangen hatten. Welch ein jammervoller Zustand,
wenn auch das deutsche Volk unter ein ähnliches Joch gerathen wäre,
wie die welschen Völker, insonderheit die Franzosen; wenn solche De-
spoten, wie der halbfranzösische Wenzel einer war, die Deutschen in
v. Rohden, Leitfaden. 29
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_Iv Karl Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Chri- Frankreich Italien Deutschland Deutschland
414 Xxi. §. 10. Ausbreitung der Pavftherrschaft über Griechenland rc.
hen schon, daß bei dem allgemeinen Umsturz der Reiche des Alter-
thums und dem Emporkommen neuer kräftiger aber roher Völker nur
dies eine Stück des alten Römerreichs, das griechischereich oder eigentlich
nur daö europäische Griechenland und die Hauptstadt Constantinopel
stehen geblieben war und stehen bleiben sollte, um die hochgelehrte und
künstlerische Bildung, die Summe der geistigen Errungenschaft des
Alterthums für eine spätere Zeit aufzubewahren, wo sie der weiter
geförderten abendländischen Christenheit zu Gute kommen sollte. Zu
diesem Amt des Aufbewahrens eignete sich aber das griechische Kai-
serreich um so mehr, da es in eine völlige Erstarrung gerathen war,
ohne alle Fähigkeit, sich weiter zu entwickeln und etwas Neues zu
schaffen. Wie jetzt die Klugheit und Gelecktheit der Chinesen, so
war auch die damalige griechische Herrlichkeit nichts Anderes als ein
zähes Festhalten alter Formen und Gewohnheiten und ein lächerliches
Stolziren mit dem eitlen Flitter eines prunksüchtigen und weibischen
Ceremonienwesens. Obwohl aber die Aufgabe dieses geistig erstorbe-
nen Volkes und Staates zunächst nur das Erhalten und Aufbewahren
sein sollte, so schloß das doch die Strafgerichte nicht aus, die der
Herr von Zeit zu Zeit über das innerlich verfaulte und verrottete
Reich ergehen ließ. Es mußten immer neue und furchtbarere Stürme
die durch unaufhörliche Mordthaten, Verstümmelungen, Schändungen,
Lügen, Ränke und viehische Laster verpestete Luft reinigen, wenn das
hinsiechende Volk auch nur bis zu der von Gott vorherbestimmten Zeit
am Leben erhalten werden sollte. Daher die immerwährenden Ein-
brüche der slavischen Völker von Norden her, daher die Siege der
mohamedanischen Seldschukken in Syrien und Klein-Asien, und der
Verlust fast aller asiatischer und sämmtlicher afrikanischer Besitzungen.
Daher denn auch die vorübergehende Ueberwältigung und Zertrüm-
merung des Reichs durch die Kreuzfahrer 1204. Es waren die Ve-
netianer und ihr greiser Herzog Dandolo, welche die nach Jerusa-
lem bestimmten Schaaren auf ihren Schiffen nach Palästina überzu-
setzen versprachen, aber statt dessen mit ihnen nach Constantinopel
fuhren, um den von dort vertriebenen Kaisersohn Alerius sammt
seinem geblendeten Vater wieder auf den Thron zu setzen. Dies Vor-
haben gelang. Als aber darnach mit dem wiedereingesetzten Kaiser
selber Streit entstand über die versprochenen Geldzahlungen und die
Unterwerfung der griechischen unter die römische Kirche, da eroberten
und verwüsteten die Kreuzfahrer von ihren Schiffen aus die Stadt
Constantinopel und das ganze Land, jagten die feigen Griechen zu
Tausenden vor sich her und theilten das Land unter sich. Ein frän-
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Xxii, §. 11. Die Türkcnnoth und die Eroberung Constantinopels. 459
§. 11. Die Türkennoth und die Eroberung Constan-
tinopels.
Durch die Kirchenversammluugen des 15. Jahrhunderts war es
auf das Klärlichste dargethan, daß man in dem Papstreich die Wahr-
heit nicht wollte, daß man die Finsterniß lieber hatte als das Lickt.
So konnten denn- die Strafgerichte nicht ausbleiben. In der johan-
neischen Apokalypse waren sie mit erschreckenden Farben längst zuvor
geschildert und ihre Vorspiele und Anfänge hatte das gottlose Geschlecht
schon zu verschiedenen Zeiten zu fühlen bekommen. Eines der furcht-
barsten und einschneidendsten Streckmittel war das Hereinbrechen der
Könige des Ostens, die vom Eufrat, von der alten Reichsgrenze des
Römerreichs her, unter den grausamsten Verheerungen ihren Sieges-
zug hielten bis in die Mitte der Christenheit- Lange Zeit hatte es
geschienen, als sei diese schwere Zuchtruthe gänzlich außer Thätigkeit
gesetzt. Aber der Arm des Herrn war noch immer ausgereckt und
eben jetzt zu neuen Schlägen erhoben. Denn schon hatte der Herr
wider die verkehrte und zuchtlose Christenheit abermals jene antichrist-
liche Macht erweckt, welche seit Mohamed's Zeiten als Würg-
und Todesengel die faulen Glieder vom Leibe der Christenheit vollends
abgetrennt und vernichtet hatte und dem Ueberrest fortwährend ein
Dorn in der Seite blieb. Die Kraft der Araber, die einst vom
Indus bis zum Tajo herrschten, war freilich längst wieder zerbrochen.
Aber immer neue kräftigere Völker wußte der Herr von Zeit zu Zeit
zur Verschärfung der Plage auf den Schauplatz zu führen, Völker,
welche fast alle zu dem vielverzweigten asiatischen Völkerstamm der
Tu rk (Turkmanen) gehörten. Wir haben bereits die Seldschukken zur
Zeit der Kreuzzüge kennen gelernt (S. 396). Jetzt begegnen uns die
Osmanen, die ersten und einzigen, die berufen waren, von Asien her
Europa's Grenzen zu überschreiten und von dem alten Kaisersitze
vieltausendjähriger Cultur, von Constantinopel aus, die greulichen Ver-
heerungen roher und unbildsamer Barbaren bis in das Herz Europa's
zu tragen. Von Osman haben die Osmanen chre Benennung, von
einem türkischen Häuptling, der mit einer Schaar von Knechten von
den westlichen Grenzen Armeniens aufbrach (1298), um Streif- und
Eroberungszüge in die kleinasiatischen Länder hinein zu versuchen.
Es gelang ihm in unerwarteter Weise. Sein Sohn Orch an (1326)
stand schon als Sieger an den Ufern des Hellespont und des Bospo-
rus und schaute mit ländergierigen Blicken nach der europäischen
Küste hinüber. Dessen Sohn Mur ad (1359 — 89) konnte sogar
TM Hauptwörter (50): [T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien]]
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Extrahierte Ortsnamen: Christenheit- Asien Constantinopel Armeniens Bospo-
Xxii. §. ]2. Eintritt der spanischen Macht mit ihren Entdeckungen rc. 463
§. 12. Eintritt der spanischen Macht mit ihren Ent-
deckungen in die Völkergeschichte.
Von den östlichen Grenzlündern des südlichen Europa müssen
wir uns, ehe wir wieder zu dem Mittelpunkte unserer Geschichte, nach
Deutschland zurückkehren, noch erst zu dem äußersten Westen wenden,
zu den Völkern der pyrenäischen Halbinsel. Deren Privaterziehung
(wenn man es so nennen mag) war soeben vollendet und sie wur-
den nun berufen zum Miteingreifen in die Entwicklung der europäischen
Christenheit. Es war freilich ein trauriger und bald vollendeter Be-
ruf, der ihnen zu Theil geworden ist, nämlich der, die wankende Macht
des Papstthums und des gesammten Katholicismus mit ganzer Kraft,
mit List und Gewalt zu stützen und ihm neue Siege zu verschaf-
fen nicht bloß in Europa, sondern auch in den fernen Ländern neu
entdeckter Welttheile. Denn obwohl jetzt ein neuer Zeitabschnitt sich
vorbereitet, da ein mündig gewordenes Geschlecht dem Gängelbande
der päpstlichen Priesterschaft sich entzieht und die, welche sich nach
Wahrheit sehnen, die Wahrheit wirklich finden und bekennen können,
so haben wir doch nirgend eine Zusage, daß das Papstreich lediglich
durch die Verbreitung evangelischer Wahrheit gestürzt werden wird.
Das sind ganz andere Mächte, die es stürzen sollen. Wider die Be-
kenner der Wahrheit entwickelt es nach augenblicklichem Zurückweichen
und trotz der bedeutenden Verringerung seines Gebiets eine desto grö-
ßere Energie des Widerstandes und des Angriffs, und Spanien ist es,
welches ihm zu diesem Zweck diesseits und jenseits des Oceans gleich
anfangs und für lange Zeit seine geistigen Kräfte und seine Waffen leiht.
Im ersten Augenblick, da wir uns jetzt von dem jammervollen
Bild des untergehenden Griechen- und des aufsteigenden Türkenreichs
nach der spanischen Halbinsel hinüber wenden, werden wir freilich mit
Bewunderung und Freude erfüllt. Da sehen wir nämlich ein umge-
kehrtes Schauspiel: die einst so mächtige arabische Herrschaft in Spa-
nien geht zu Grunde, das letzte mohamedanische Königreich Gra-
nada wird unterworfen und in großer Herrlichkeit breiten sich die
einst von den Arabern bis in die äußersten Schlupfwinkel der nörd-
lichen Gebirge verfolgten Christen, im Glanze tausendfacher Siege,
als zwei oder drei mächtige Königreiche von den Pyrenäen bis zur Spitze
von Gibraltar aus. Aber so wie man den Blick wendet und im Hin-
tergründe der siegreichen Ehristcnschaaren die Scheiterhaufen flammen
sieht, auf denen Juden und Saracene» und Ketzer zu Tausenden er-
barmungslos verbrannt werden, wenn man in die finsteren Kerker der
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T90: [Luther Kirche Lehre Schrift Wittenberg Papst Kaiser Reformation Jahr Konzil], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
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Extrahierte Personennamen: Gibraltar
Extrahierte Ortsnamen: Europa Deutschland Europa Spanien
464 Xxii. §. 12. Eintritt der spanischen Macht mit ihren Entdeckungen rc.
Inquisition hinabsteigt und die mit Blut bespritzten Folterwerkzeuge
schaut, wenn man die fanatischen Befehle der Regierung vernimmt,
wonach Hunderttausende ruhiger und fleißiger Unterthanen, die seit
vielen Geschlechtern im Lande wohnten, hinausgejagt werden, bloß
weil sie sich nicht zum katholischen Glauben bekennen — dann grau-
set's uns, und wir merken gleich, daß der spanische Volkscharakter,
wie er von Anfang an streng gottesdienstlich, der Geistlichkeit unter-
worfen (bigott, devot) und abergläubisch war, durch die lang andauern-
den Kämpfe mit den Saracenen bei aller Hochherzigkeit und allem
Adel zugleich fanatisch, grausam, blutdürstig geworden ist, und daß
von Spanien aus nur eine Mission mit dem Schwert zu fremden
Völkern gesandt werden wird, um sie zur Rückkehr und Unterwerfung
unter das Papftthum zu zwingen. Und schon sehen wir sie hin-
ausfahren über die unbekannten Meere, zuerst die Entdecker mit den
kleinen Geschwadern, dann die thatendurstigen und beutegierigen Aben-
teurer aus den glänzenden Flotten an die Gestade einer wiederaufge-
fundenen alten oder ganz fremden neuen Welt. Wir sehen eine Handvoll
Leute mächtige Königreiche der fernen Heiden bezwingen, wir sehen
das Christenbanner im fernsten Indien, auf China's weit entlegener
Küste, und zugleich an den entgegengesetzten Gestaden des atlantischen
und stillen Oceans in Mexico, Brasilien und Peru sich erheben. Aber
wie erhebt es sich? Nicht in dem reinen Glanz der makellosen
Wahrheit, der demüthigen Liebe, des ungefärbten Glaubens, nein auf
Leichenhügeln ist es gefestet, mit dem Blut der qualvoll Gemordeten
ist es besprengt, und Wahn und Trug, Heuchelei und Tücke, Habgier
und Grausamkeit tritt unter diesem heiligen Zeichen die schreckliche
Herrschaft an im Heidenland. Und das nennen sie Christenthum!
Und dafür preist die Kirche Gott, daß er es ihr habe gelingen lassen,
diese Heiden dem Papst und der Geistlichkeit zu unterwerfen! Aber
Gottes Wege sind immerdar heilig. Was jene Heiden litten von den
katholischen Unterdrückern, das war nichts Anderes als ein spätes Ge-
richt über lange getragene schwere Frevel, die sie selbst an früheren
Geschlechtern begangen.
Wunderbar, wie der Herr so ganz kurz vor der Reformationszeit
plötzlich den Schleier wegzog und lang verschlossene Thüren aufthat,
und die erstaunte Christenheit hineinschauen ließ in eine Reihe neuer
Welten, von deren Dasein sie zum Theil noch keine Ahnung gehabt.
Zwar daß Ostindien da sei, wußte man, aber seit 1000 Jahren hatte
kaum ein Europäer es gesehen. Daß von Afrika mehr da sei als die
Küste am Mittelmeere, wußte man auch, aber noch nie hatte ein Euro-
päer seine übrigen Grenzen erkundet. Von Amerika vollends, nament-
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T6: [Insel Stadt Meer Hafen Handel Hauptstadt Land Küste Einw. Halbinsel]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T64: [Insel Amerika Land Spanier Australien Kolonie Hauptstadt Küste Entdeckung San], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz]]
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Extrahierte Ortsnamen: Spanien Indien Brasilien Peru Heidenland Gottes Ostindien Afrika Amerika
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Extrahierte Personennamen: Albrecht Albrecht Karl_der_Kühne Karl Nancy Karl Karl Maria_von_Burgund Maria Maximilian_von_Oestreich Maximilian
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470 Xxii. §. 14. Wiedererhebung Frankreichs rc.
Reich hineinspielte, in seine eigne Hand zu bringen und zugleich die
schönen italienischen Länder des Papstes zu gewinnen wünschte? Doch
nicht auf diese Weise sollte die alte Weltmonarchie wiederher-
gestellt werden. Sie sollte überhaupt nicht wiederkehren. Nur das
sollte geschehen, daß die bedeutendsten und religiös angeregtesten Völker
der europäischen Christenheit, daß Deutschland und die Niederlande mit
Spanien und Italien noch einmal unter denselben Scepter gebracht
wurden, damit der große Geisterkampf, der jetzt bevorstand, auf eine
ehrliche und gründliche Weise zwischen ihnen könnte zu Ende gekämpft
werden, wie es denn ja auch geschehen ist.
$. 14. Wiedererhebung Frankreichs als Deutschlands
Widerpart und Verderben der Schweiz.
Indem wir die Gesammtheit der Länder überschauen, welche beim
Beginn der Reformation durch das gemeinsame Herrschergeschlecht
wieder mit einander in Berührung, in die engste Verbindung getreten
sind, fällt es uns sogleich auf, daß der alte Gegner Deutschlands,
daß Frankreich auch jetzt noch in seiner vereinzelten und feindlichen
Stellung bleibt und der gesummten übrigen abendländischen Christen-
heit als ein losgesondertes Glied gegenübertritt. Auch dem fränki-
schen Volke sollte das reine Evangelium wieder angeboten werden,
oftmals, reichlich, dringend; es sollten auch viele einzelne Seelen
durch die lautere Predigt dem Verderben entrissen werden, wiewohl
das Volk als Ganzes durch den bewußten und grimmigen Wider-
stand gegen das Wort Gottes erst völlig zu der antichristischen Stel-
lung und zu dem Verderben heranreifte, dem es vor unseren Augen
entgegengeht. Aber aus dem Schooße Frankreichs konnte keine
Kirchenresormation selbständig hervorgehen, die deutsche Reforma-
tion blieb den romanischen Völkern fremd und reizlos. Es fand sich
aber ein anderer Boden, der, obwohl ursprünglich Deutschland ange-
hörig und mit deutschem Wesen gesättigt, doch seit längerer Zeit schon
in gefährlicher Weise nach Frankreich hinüberneigte. Hier bildete
sich eine zweiter Quell- und Mittelpunkt der Reformation, und neben
der deutschen, germanischen Reformation in Sachsen begründete sich
eine welsche, romanische Reformation in der Schweiz. Nicht
so schnell waren die bedenklichen Folgen der allmäligen Los-
reißung aller schweizer Cantone von den angestammten deut-
schen Gewalten und althergebrachten Verpflichtungen sichtbar ge-
worden. Ein halbes Jahrhundert hindurch hatten die verbundenen
Schweizer nicht bloß den Ruhm unvergleichlicher Tapferkeit, ja Un-
überwindlichkeit, sondern auch echter deutscher Treue und Biederkeit,
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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